Noch ein Brief an das ZDF zu sexuellen Übergriffen als Entertainment

Über Tweets und Blogbeiträge bin ich gestern auf die Sendung neoParadise vom 4. Oktober aufmerksam geworden, in der es für angemessen gehalten wurde, einen sexuellen Übergriffj als Mutprobe, als “Streich” zu inszenieren. Als ich mir die Szene zum ersten Mal angesehen habe, fand ich sie – ich muss es zugeben – sogar erstmal “nur” geschmacklos. Aber das ist genau ein Teil des Problems: die Szene ist derartig verharmlosend inszeniert – durch den gespielten Kontrast zwischen den beiden Entertainern Joko und Klaas, durch den Schnitt etc. – dass sie für die ZuschauerInnen auf den ersten Blick tatsächlich als das durchgeht: als Dummer-Jungen-Streich. Und dies macht sie doppelt und dreifach problematisch und umso empörender, dass dies im (öffentlich-rechtlichen, zu allem Überfluss) Fernsehen läuft.

Ich habe daher, anschließend an derspringendepunkt, Kathrin Ganz und und Helga Hansen einen Brief an die ZDF Zuschauerredaktion geschickt. Ich konnte nicht umhin, dabei noch mal die komplette Inszenierung auseinanderzunehmen – ob dies etwas bringt und so einer langer Brief überhaupt gelesen wird, ich weiß es nicht. So richtig optimistisch bin ich nicht. Aber ich denke es ist wichtig aufzuzeigen, wie solche Inszenierungen funktionieren. Denn gerade da wo sexuelle Übergriffe und Gewalt in ironischen, albernen, zotigen – und damit harmlos erscheinenden – Kontexten auftaucht, schleichen sie sich als normal und “nicht so schlimm” in unseren Alltag. Das sind genau die Punkte, an denen Rapeculture (siehe auch hier oder hier) beginnt und wo sie am schwierigsten zu erkennen ist. Hier also der Brief:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie hoffentlich schon einige Zuschauerinnen und Zuschauer vor mir möchte ich mich über die Sendung “neoParadise” vom 4. Oktober und die darin gestellte “Mutprobe” beschweren, die in der sexuellen Belästigung einer Messehostess bestand. Aus dem Standardantwortschreiben, dass ich bereits im Internet gelesen habe, geht hervor, dass die Hostess der Ausstrahlung zugestimmt hat und auch keine/kaum eine Berührung stattfand, es sich also in Ihrer Darstellung nur um eine vermeintliche Belästigung handelt. Da es jedoch so inszeniert ist, als habe ein Übergriff stattgefunden, ändert dies an der Situation überhaupt nichts. Ich möchte Ihnen daher, anschließend an die Beiträge der BloggerInnen derspringendepunkt, Kathrin Ganz und Helga Hansen [waren in der Mail verlinkt], gerne noch mal darlegen, warum diese Szene so problematisch ist und warum ich so empört darüber bin, dass sie so etwas ausstrahlen. Sie sendet auf vielen Ebenen gefährlich verharmlosende Botschaften, noch dazu transportiert durch zwei bei der jüngeren Zielgruppe beliebte und damit durchaus einflussreiche Entertainer.

Auf den ersten Blick würden viele vielleicht urteilen, dass der Entertainer Klaas Heufer-Umlauf Joko Winterscheidt sich ja sehr peinlich berührt gezeigt habe, dass ihm die Situation unangenehm war und so eine ausreichende “Verurteilung” des Geschehens von redaktioneller Seite stattgefunden hat. Aber schon die Tatsache, dass eine solche Aufgabe als Mutprobe gestellt wird, ist von Grund auf falsch: es erscheint danach von vornherein OK – egal ob die Aufgabe angenommen wird oder nicht – den Körper einer Frau zum Spielobjekt, zu einem Requisit zu machen. Die Inszenierung rechtfertigt dies als “Spaß unter Jungs”, zu denen die Entertainer im Showkonzept stilisiert werden. Die Belästigung wird als Showeinlage verharmlost.

Weiter geht es damit, dass Klaas Heufer-Umlauf Joko Winterscheidt die Aufgabe trotz seines offensichtlichen (ob nun echt oder nicht) Unbehagens annimmt. Ihm scheint bewusst, dass diese einen Übergriff darstellt, führt sie aber trotz allem durch. Damit entkräftet er sein eigenes Unbehagen völlig. Die Durchführung des Showkonzepts, inklusive “Beweisen, was man(n) sich traut”, zählt mehr als das Bewusstsein, dass diese Art übergriffigen Verhaltens falsch ist. Ist Ihnen klar, welche Botschaft das sendet? Dass selbst in dem Bewusstsein, das es falsch ist, ein Mutbeweis – oder auch eine TV-Show – mehr zählt als die körperliche Integrität einer jungen Frau? Sogar, wenn der Handelnde selbst es ablehnt?

Auf die Spitze getrieben wird es dann mit dem Kommentar von Joko Winterscheidt Klaas Heufer-Umlauf, dass die junge Frau sich jetzt wohl “entwürdigt” fühle und später unter der Dusche “heulen” würde. Die ZuschauerInnen können kaum anders, als in dieser Beschreibung eine große Diskrepanz zum eigentlichen Geschehen zu sehen: ein kleiner “Busentatscher” und stundenlanges Heulen scheinen in dieser Inszenierung kaum zueinander zu passen. Damit wird für die ZuschauerInnen wie auch für den mit seiner Übergriffkeit hadernden Heufer-Umlauf ein leichter Ausweg, eine inszenatorische Entspannung geschaffen – im Vergleich zur Dimension, die Winterscheidts Kommentar aufmacht, ist das ja doch alles “nicht so schlimm”. Dies ist in doppelter Hinsicht perfide: zum einen wird damit die übergriffige Szene verharmlost, zum anderen generell Auswirkungen auf die Opfer ins Lächerliche gezogen und missbraucht, um das Geschehene zu entkräften.

Ich fasse also die Botschaften noch mal für Sie zusammen:

  • für eine Fernsehshow ist es legitim, den Körper einer Frau zum Spielobjekt zu machen
  • sexuelle Belästigung ist eigentlich auch nur ein weiterer, wenn auch zotiger, “Spaß unter Jungs”
  • selbst wenn ich sexuelle Übergriffe für falsch halte, ist es wichtiger, mein Gesicht nicht zu verlieren
  • sexuelle Übergriffe und deren Auswirkungen auf die Opfer werden sowieso überdramatisiert

Das ist quasi, als hätten sie sich in Ihren Bildungsauftrag geschrieben, sexuelle Gewalt zu verharmlosen und weiterhin salonfähig zu machen. Na bravo. Ich habe mich vor vielen Jahren dazu entschlossen, mich freiwillig für die GEZ-Gebühren anzumelden, nicht weil ich musste, sondern weil ich einen Sinn darin sah. In Momenten wie diesen kann ich diese Entscheidung wirklich nicht mehr nachvollziehen. Und glauben Sie mir: ich bereue sie zutiefst.

Mit freundlichen Grüßen,
Lucie Höhler

 

Dazu noch als Ergänzung: Es mag weitaus schlimmere Szenen im privaten Fernsehen geben, es mag auch schlimmere Szenen im Fernsehen generell geben und es mag daher willkürlich erscheinen, an nun genau dieser Sendung und Szene Anstoß zu nehmen. Einer der (meiner) Punkte dabei ist dabei durchaus, dass es sich hierbei um einen öffentlich-rechtlichen Sender handelt, der auf Zuschauerinnen und Zuschauer immer noch die Wirkung hat, irgendwie “okayer” zu sein, und damit auch eine andere Wirkung mit Szenen wie diesen erzielt wird (wenn die das zeigen, ist es wohl noch okay). Zum anderen hat er auch verdammt noch mal die Pflicht, deutlich “okayer” zu sein (was nicht heißt, dass andere Sender nicht auch gerne okay sein dürfen). Und last but not least ist dies auch wieder nur ein Puzzlestück in einem bigger Picture, dass mit “Rapeculture” schon ganz treffend beschrieben wird. Und ich hab davon einfach so verdammt noch mal genug.

 

[Update 14.10., 18:09: Offenbar habe ich Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf vertauscht. Was mich überrascht, weil ich mir extra noch mal ein Foto angesehen habe, damit ebendies nicht passiert (you failed me, internets!). Das ist natürlich ärgerlich und wird vielleicht meine Durchschlagskraft beim ZDF nicht gerade steigern, leider; ändert aber an der Sache nichts.]

[Update 15.10.: Weitere Texte zum Thema gibt es bei Riotmango und Emminordwind]

8 thoughts on “Noch ein Brief an das ZDF zu sexuellen Übergriffen als Entertainment

  1. nur eine kurze anmerkung, du hast die namen vertauscht.
    klaas hat die aufgabe gestellt und den beschissenen dusche-kommentar geäußert, joko hat den übergriff ausgeführt.

  2. Pingback: Mädchenmannschaft » Blog Archive » Übergriffigkeit als ‘boys fun’ beim ZDF

  3. Pingback: Toleranz von sexualisierter Übergriffigkeit in den Medien « Gedankensalat…

  4. Pingback: Das war die phenomenelle Woche 42/2012 – ein lesbischer Rückblick

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  6. Trackback/Fritz hat in der Sendung mit dem Intervie mit Dir übrigens treffsicher „Die Orsons: Sexuell Belästigt“ in der ersten halbe Stunde gespielt. Nur falls Du der Redaktion noch persönlich für Ihren guten Geschmack und thematisches Feingefühl danken möchtest. Aber vermutlich besitzt der Song irgendeine intellektuelle Subebene, die ich nur nicht verstehe.

  7. Pingback: TRB 300: Produktzusendungen, Gamesjournalismus, Sexismus, Vorratsdatenspeicherung, LindingerbeiTrackback

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