Augen auf: Flüchtlingsprotest in Deutschland

Das Flüchtlingscamp vor dem Brandenburger Tor

Foto von Enno Lenze

Die Lage für Asylsuchende in Deutschland ist schlecht bis menschenunwürdig. Da lässt sich wenig dran beschönigen (auch wenn es sicher versucht wird). Dieser Tage gibt es in Berlin und Frankfurt Camps streikender Flüchtlinge, die auf ihre Lage aufmerksam machen wollen und die für eine Abschaffung der Residenzpflicht, Abschiebestopp, die Anerkennung als politische Flüchtlinge und die Schließung der Isolationslager kämpfen. Wie ernst es ihnen damit ist und wie ernst ihr Lage ist, lässt sich an ihren Protestformen erkennen: eine Gruppe ist 600 km von Würzburg nach Berlin gelaufen, seit einer Woche befinden sich etliche Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor im Hungerstreik, Tag und Nacht bei Bodenfrost und Regen. Dort werden sie mittlerweile von etlichen Freiwilligen nach besten Kräften unterstützt, sind gleichzeitig aber enormen Repressalien der Polizei ausgesetzt, Continue reading

Noch ein Brief an das ZDF zu sexuellen Übergriffen als Entertainment

Über Tweets und Blogbeiträge bin ich gestern auf die Sendung neoParadise vom 4. Oktober aufmerksam geworden, in der es für angemessen gehalten wurde, einen sexuellen Übergriffj als Mutprobe, als “Streich” zu inszenieren. Als ich mir die Szene zum ersten Mal angesehen habe, fand ich sie – ich muss es zugeben – sogar erstmal “nur” geschmacklos. Aber das ist genau ein Teil des Problems: die Szene ist derartig verharmlosend inszeniert – durch den gespielten Kontrast zwischen den beiden Entertainern Joko und Klaas, durch den Schnitt etc. – dass sie für die ZuschauerInnen auf den ersten Blick tatsächlich als das durchgeht: als Dummer-Jungen-Streich. Und dies macht sie doppelt und dreifach problematisch und umso empörender, dass dies im (öffentlich-rechtlichen, zu allem Überfluss) Fernsehen läuft.

Ich habe daher, anschließend an derspringendepunkt, Kathrin Ganz und und Helga Hansen einen Brief an die ZDF Zuschauerredaktion geschickt. Ich konnte nicht umhin, dabei noch mal die komplette Inszenierung auseinanderzunehmen – ob dies etwas bringt und so einer langer Brief überhaupt gelesen wird, ich weiß es nicht. So richtig optimistisch bin ich nicht. Aber ich denke es ist wichtig aufzuzeigen, wie solche Inszenierungen funktionieren. Denn gerade da wo sexuelle Übergriffe und Gewalt in ironischen, albernen, zotigen – und damit harmlos erscheinenden – Kontexten auftaucht, schleichen sie sich als normal und “nicht so schlimm” in unseren Alltag. Das sind genau die Punkte, an denen Rapeculture (siehe auch hier oder hier) beginnt und wo sie am schwierigsten zu erkennen ist. Hier also der Brief:

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Hinter Dir! Ein dreiköpfiger Podcast!

Ein Titelbild-Screenshot des PC-Spieles "The Secret of Monkey Island" Harhar: In einem Anfall jugendlichen Leichtsinns (und auf meine aufdringliche beharrliche Anregung hin) haben die beiden Retrozirkel-Podcaster Niels (@niels_k) und Martin (@map) mich eingeladen, in ihrem Retrogames-Podcast zu Gast zu sein. Endlich kann ich an meine verzockten Jugendtage anknüpfen und dies als produktive Betätigung tarnen. Der erste Podcast im dreiköpfigen Team drehte sich passenderweise um den Point-and-Click-Klassiker “The Secret of Monkey Island”. Es war ein bißchen wie nach Hause kommen. Continue reading

Mario Barth freut sich über seine baldige Kolumne in der SZ

Den Zeitungen im Netz geht es nicht so gut. Sie kämpfen um Klicks, um ihre Angebote zu finanzieren. Das ist verständlich. Aber, was die Süddeutsche Zeitung Online da in letzter Zeit so raushaut: so bitte nicht. Sie setzt auf zwei Dinge, die im Netz zwar vordergründig zu funktionieren scheinen, bei mir jedoch vor allem Magendruck und Völlegefühl auslösen. Vermeintlich humorvolle Kolumnen mit “frecher Schreibe”, die bei den Geschlechterbildern den Bodensatz aus der Klischeekiste kratzen und ansonsten auf im Internet (und nicht nur da) Altbewährtes setzen: Hohn und Spott. Und es kommt noch besser: gegen (Frauen-)körper. Bingo! Continue reading

Opening-Post: Autorinnenfreuden, Missy und Maßnahmen

Mit der Tür ins Haus fallend eröffne ich diesen irgendwie neuen Blog (das Upgrade zum irgendwie alten Blog) zeitgleich mit dem Erscheinen des neuen Missy Magazine, denn ich habe die Ehre zu dieser Ausgabe auch zwei Texte beizusteuern (S. 14 und S. 92, falls wer nachlesen möchte). Das war mir eine große Freude, denn ich habe die Missy seit der Nullnummer abonniert und keine Ausgabe verpasst – weil mich das Konzept von Anfang begeistert hat (und insbesondere die “Lieblingsstreberinnen” zählen zu meinen favorisierten Artikelreihen).

Zu dieser Ausgabe gab es allerdings zuletzt auch negative Kritik in der digitalen Sphäre – der Bloggerin Antiprodukt und weiteren Kommentator_innen stießen zwei ganzseitige Werbeanzeigen durch ihr aggressives Gendermarketing übel auf, so sehr, dass Antiprodukt sich entschlossen hat, ihr Missy-Abbonnement zu kündigen. Ich habe mich auf Twitter kritisch zu diesem Vorwurf geäußert, was ich hier noch mal kurz kommentieren will.

Vorneweg – falls jemand mich für “befangen” hält, weil ich ja gerade vor fünf Zeilen geschrieben habe, dass ich in der Missy etwas veröffentlicht habe: ich bin wie gesagt Abonnentin seit der ersten Ausgabe im Oktober 2008, d.h. ich bin sehr sehr viel länger Leserin als dass ich mich als Autorin bezeichnen könnte (wenn überhaupt). Ich schreibe hier also primär als Leserin (und damit vermutlich durchaus parteiisch, if you will).

Die Debatte, die sich rund um die Werbung in der Missy entsponn, dreht sich für mich vor allem um die Frage, wie viele Zugeständnisse eine feministische Zeitschrift (oder ein Projekt oder…) an die Anforderungen des Zeitschriftenmarkts (oder generell Sponsoren oder…) machen kann, ohne Glaubwürdigkeit einzubüßen. Für Antiprodukt und andere war mit der Werbung (es handelte sich um eine zuckrige Mädchen-Werbung für Binden/Slipeinlagen sowie eine T-Mobile-Werbung mit Frauen-Handtaschen-Klischee, S. 45 und U4) dieser Punkt wohl überschritten. Mir geht es anders. Natürlich gefällt mir diese Werbung nicht. Beide bedienen sexistische Klischees und die übliche dümmliche Ansprache von Gendermarketing für Frauen*. Ich rege mich oft und gerne über Werbung auf und diskutiere sie (und werde das sicher auch auf diesem Blog tun). Auf der nach oben offenen Scheiße-Skala würde ich diese beiden Anzeigen allerdings noch nicht ganz so hoch ansiedeln. Obergrenze unteres Nervigkeitsdrittel, oder so.

Diese Einschätzung spielt natürlich beim Grad der Empörung eine Rolle. Der andere Punkt ist eine mehr grundlegende Überlegung. Ich verfolge Missy wie gesagt schon länger. Sie ist in den vier Jahren ihres Bestehens die einzige Print-Zeitschrift geblieben, die den Spagat versucht, jenseits von akademisch-politischen Periodika oder subkulturellen Zines ein Angebot (nicht nur) für junge Frauen* zu schaffen, das feministisch und popkulturell geprägt ist und in den Läden liegt – als Fels in einer Brandung aus bikinigewachstem Wahn, der ansonsten für Frauen* verkauft wird.

Missy sollte von Anfang an eine reale, verfügbare Alternative sein, die im Idealfall auch Menschen jenseits der (netz-)feministischen Blase erreicht und für feministischen Ideen, Kultur, Politik und Lebensweisen abseits des so genannten Mainstreams begeistert. Ein niedrigschwelliger feministischer Einstieg für Popkulturinteressierte ebenso wie ein popkulturelles Blatt für Feminist_innen, quasi. Angesichts dieses hohen – und schwierigen -  Ziels kann ich Werbeanzeigen, die diesem Ideal nicht entsprechen, nicht anderes als mit finanzieller Not(-wendigkeit) interpretieren. Warum sollten die für ein Nischenprodukt kämpfenden Blattmacherinnen bei ihrer Werbung auf einmal alle Überzeugungen über Bord werfen, wenn sie die Möglichkeit hätten, sich ihre Werbekund_innen ganz nach Gusto auszusuchen und im besten Fall noch die Gestaltung der Werbeanzeigen diktieren? Meine Annahme ist, dass sie diese Möglichkeit leider nicht haben. Zudem bei großen Marken wie Telekom oder Camelia/Kimberly-Clark. Das ist schade und ärgerlich, ohne Frage.

Mir erscheint der Umstand, präsent zu sein zwischen Zeitschriften voll von grausigsten Botschaften an Frauen*, nur einfach wichtiger als die eine oder andere stereotype Werbung, die zu diesem Zweck eventuell nicht umgangen werden kann. Denn ohne Zeitschriften wie Missy werden keine Alternativen aufgezeigt und also auch nicht die Gesellschaft, Geschlechterrollen, Werbe- und Medienwelt revolutioniert (das ist ja wohl unser Plan, oder?). Das Problem der Maßnahmen, die auf dem Weg zur Revolution gegebenenfalls ergriffen werden müssen, ist ja nicht neu. Fragt mal Brecht zu dem Thema. Nur müssen wir hier keinen jungen Revolutionär erschiessen und seine Leiche in Kalk auflösen, sondern eine nervige Werbung überblättern. Ob Mensch das möchte, kann und erträglich findet oder nicht – diese Gewissensentscheidung muss jede_r selbst treffen. Das Missy Magazine wird jedenfalls durch weniger Abonnent_innen nicht unabhängiger werden von den Vorgaben der Werbung – sondern nur durch mehr.

 

* Das ist das Gendersternchen – erklärt wird es u.a. im Glossar beim Femgeeks.